Wenn Angst krank macht
Studien zeigen: Während des ersten Lockdowns gab es in unseren Kliniken deutlich weniger Patienten mit Herzinfarkten und Schlaganfällen, dafür stiegen Magen- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen sowie Alkoholmissbrauch stark an - häufige Folgen von Stress. Auch die Zahl von Patienten mit depressiven Symptomen erhöhte sich deutlich. So belegen klinisch abgesicherte Diagnosen aus der Schweiz: Vor Covid hatten 3,4 Prozent der Bevölkerung eine depressive Störung, im Zuge des Lockdowns wuchs die Zahl auf 9 Prozent an. Ähnliche Zahlen schätzt man auch für Österreich und Deutschland.
Kommunikation über Corona erzeugt auch Angst und Stress
„Eine einfache und gut verständliche Kommunikation zum Thema, Corona‘, die die Bevölkerung über die Erkrankung, Verbreitungswege und Verhaltensregeln aufklärt und informiert ist essenziell. Übertriebene Horrormeldungen können aber massiven und anhaltenden Stress erzeugen.
Die Menschen - und insbesondere die Risikogruppen - haben Angst sich anzustecken und einen schweren Verlauf zu entwickeln, vielleicht sogar zu versterben (Todesangst)“, so Hutterer.
Aus Angst vor Ansteckung trauen sie sich nicht mehr vor die Türe oder empfangen wenig bis keinen Besuch mehr. „Die soziale Isolation und Einsamkeit verstärken aber das Gefühl von Angst nachhaltig. Gerade für ältere Menschen ist dies ein immenser Stressfaktor“, erklärt der Neurologe und warnt: „Eine verwirrende Kommunikation und Inhalte, die sich ständig ändern, sorgen für Unverständnis, Anspannung und Gegenwehr – und verstärken das bestehende Angstgefühl. Gesichtsmasken sind derzeit eine wichtige Maßnahme, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu reduzieren. Gleichzeitig stellen sie einen weiteren belastenden Faktor dar. Wir sind soziale Wesen und leben bei der Kommunikation mit anderen Menschen ganz entscheidend davon, die Körpersprache und insbesondere die Mimik des Gegenübers wahrzunehmen. Das ist derzeit nur beschränkt möglich. All diese Faktoren tragen über die Monate zur einer chronischen Stressreaktion bei.“
Diese Stressreaktion führt zu einer nachhaltigen Schwächung des Immunsystems (nähere Infos siehe Hintergrundinfo Psychoneuroimmunologie), depressiven Symptomen und Schlafstörungen.
Bei Anzeichen für Depression rechtzeitig Hilfe suchen
Anzeichen für eine depressive Episode sind Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit, körperliche und seelische Kraftlosigkeit oder allgemeine Lustlosigkeit bis Interessensverlust, innere Unruhe bis Erregtheit, Rhythmusstörung mit Ein-/Durchschlafstörungen, vorzeitigem Erwachen und Morgentief, verminderte Konzentrations- und Merkfähigkeit oder eine Denkhemmung. „Dauern die Symptome über längere Zeit an, ist es ratsam, sich professionelle Hilfe zu suchen“, betont Dr. Hutterer.
Immunsystem und Psyche werden durch Stressreduktion gestärkt
Dem chronischen Stress könne man allerdings mit zahlreichen Maßnahmen entgegensteuern: „Bewegung in der Natur ist ein gutes Mittel, um Stress und Angst abzubauen. Wichtig sind auch soziale Kontakte und entlastende Gespräche. Wenn es nicht mehr persönlich geht, dann eben über (Video-)Telefon oder Computer.“
Ein gutes Mittel sind auch Entspannungstechniken. „Die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson ist schnell gelernt, auf unserem Youtube-Kanal „Barmherzige Brüder Linz“ und auf unserer Homepage www.bblinz.at findet sich dazu ein Video. Ebenfalls empfehlenswert sind das autogene Training, Yoga, Thai Chi und Meditation. Hier ist es aber ratsam, zum Einstieg einen Kurs zu machen oder einen Trainer zu kontaktieren. Meditation wird häufig auch von klinischen Psychologen vermittelt. Wichtig ist, grundlegende menschliche Bedürfnisse nicht zu kurz kommen zu lassen und sich auch klar zu machen, dass ein Ende in Sicht ist, spätestens wenn die Impfung da ist. Dabei aber nie vergessen, sich im Notfall professionelle psychologische Hilfe zu suchen“, so Hutterer.
Hintergrundinfo Psychoneuroimmunologie
Die körperliche Stressreaktion gehört zu unserem Leben und ist wichtig für unsere Entwicklung. „In den vergangenen Epochen war sie überlebensnotwendig. Im Falle einer Gefahr half sie, die Flucht zu ergreifen oder uns zur Wehr zu setzen. Das ist die klassische ‚Flight or Fight – Reaktion‘. Dabei wird der Körper maximal aktiviert: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atmung wird schneller, die Muskeln werden mit Blutzucker versorgt und das Immunsystem wird aktiviert. Dadurch können wir schnell und effektiv auf die Gefahr reagieren. Werden wir dabei verletzt, führt die Immunaktivierung zu einer möglichst schnell einsetzende Wundheilung und schützt zudem vor der Ausbreitung von lokalen Infekten “, so Dr. Hutterer.
Körper braucht nach Stressreaktion eine Ruhepause
Wichtig ist jedoch, dass der Körper nach einer Stressreaktion eine ausreichend lange Ruhepause hat, um wieder zu regenerieren. „In einer Stresssituation spielen das autonome Nervensystem (Sympathikus, Parasympathikus) und die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol eine entscheidende Rolle. Adrenalin erhöht die Energieversorgung der in dieser Notsituation wichtigen Organe, Noradrenalin unterstützt die Entstehung von Angst bei Stress und sorgt durch die Verknüpfung von Situation mit Emotionen für eine erhöhte Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit. Die Adrenalin-Noradrenalin-Reaktion hat insgesamt eine kurzzeitige Wirkung, da kurz darauf das Hormon Cortisol ausgeschüttet wird, das als Gegenspieler den Körper vor den ungünstigen Folgen einer zu langen Hochaktivierung der beiden Hormone schützen soll. Problematisch wird es bei lang anhaltendem Stress“, warnt der Mediziner.
Ist Schutzsystem ständig aktiviert, drohen ernsthafte gesundheitliche Schäden
Dann wird nämlich Cortisol kontinuierlich von den Nebennieren freigesetzt und im Körper über das Blut verteilt. Durch das zu viel an Cortisol („Hypercortisolismus“) kommt es zu einer anhaltenden und krankmachenden Funktionsstörung unseres Immunsystems („chronic silent inflammation“) mit verzögerter Wundheilung, Infektionsanfälligkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck) und Diabetes mellitus. Es begünstigt ebenso die Entstehung von Tumoren, allergischen Erkrankungen (z.B. Asthma), die Neigung zu Autoimmunerkrankungen (z.B. Rheuma) und das beschleunigte Altern des Immunsystems „Inflamm-Aging“.
Wenn die Stressreaktion extrem stark ist (z.B. lebensbedrohende Erlebnisse, körperliche Misshandlung) oder sehr lange anhaltet (z.B. chronische Angst) kann es zu einer Erschöpfung der Nebennierenfunktion und dadurch zu einer chronischen Unterversorgung mit Cortisol kommen („Hypocortisolismus“). Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einem überdehnten Gummiband, das sich nach der Dehnung nicht mehr zusammenziehen kann. In dieser Situation kommt es zu einer massiven Schwächung des Immunsystems mit den oben genannten Auswirkungen, chronischer Müdigkeit und Erschöpfungsgefühl (Fatigue), Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, geringer Stresstoleranz sowie intensivem Angstgefühl und depressiven Symptomen („Burn out“).
„Die Wahrnehmung einer Bedrohung erfolgt durch unsere Sinne. Dabei ist emotionaler oder sozialer Stress genauso belastend wie eine körperliche Bedrohung“, betont Dr. Hutterer
Die Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie erklären sehr gut, dass der menschliche Körper auf akuten sehr starken Stress (z.B. Trauma) bzw. anhaltenden Stress (z.B. chronische Erkrankung) ohne adäquate Aufarbeitung bzw. Erholungsphasen mit einer Aktivierung des Immunsystems über das autonome Nervensystem und Stresshormone reagiert und zu verschiedene Erkrankungen führen kann. Das Immunsystem nimmt Veränderungen im Körper sehr genau wahr und teilt diese Informationen unserem Gehirn mit, welches entsprechend reagieren kann. Dass Immunsystem wird daher auch als „7. Sinn des Körpers“ bezeichnet. Für ein gesundes psychisches und körperliches Leben ist es daher entscheidend Stressfaktoren zu reduzieren, anhaltende Stresszustände zu entkräften und Regenerations- bzw. Erholungsphasen einzuplanen.
OA Priv.-Doz. Dr. Markus Hutterer Fotorechte:, Barmherzige Brüder |
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Das Konventhospital betreut jährlich über 29.000 Patienten stationär und mehr als 115.000 ambulant.
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