Auf die Zeichen achten: Tipps für Eltern
„Bloßes Abwarten, Hoffen auf Selbstheilung und ähnliche Strategien sind keine geeigneten Reaktionen auf die gravierenden Probleme Kinder und Jugendlicher“, so Kamper. „Die Hoffnung, dass wir eine oder zwei Wellen einer Pandemie‐Ausnahmesituation durchleben, hat sich nicht erfüllt. Die nunmehrige Perspektive ist, mit diesen Lebensverhältnissen leben zu lernen – wenngleich in unterschiedlicher Intensität.“ Die Entwicklung einzelner körperlicher und psychischer Beschwerden bis hin zu psychiatrisch definierten Krankheitsbildern im Kindes‐ und Jugendalter dürfe deshalb nicht verwundern. „Gravierend kommen praktisch täglich Aussagen bzw. Fakten hinzu, die den Blick in eine positive Zukunft gerade für Kinder und Jugendliche so nicht mehr ermöglichen – Schlagworte Klimakatastrophenszenario, Gräueltaten und Ukraine‐Krieg.“ Kinder‐ und Jugendpsychiater sehen vor allem nicht zu bewältigende Ängste, depressive Symptome unterschiedlicher Ausprägung, Ankündigung von Selbstmordabsichten und entsprechende Versuche. „Es zeigt sich eine heftige Zunahme an ausgeprägten Essstörungen im Sinne der Magersucht, oftmals in Kombination mit Selbstverletzungen, aber auch der hochgradigen Adipositas kombiniert mit Mental‐Health‐ Problemen“, ergänzt Kamper.
Ist mein Kind betroffen?
Um das Befinden des Nachwuchses einschätzen zu können, sind Eltern gefordert, auf Zeichen zu achten. „Ungewöhnliche und deutliche Veränderungen im Alltagsverhalten sollten in jedem Lebensalter der Kinder und Jugendlichen beachtet werden“, macht Kamper deutlich. „Äußerungen der Kinder zu Ängsten und Sorgen sowie zu Hoffnungslosigkeit oder Ausweglosigkeit sind ernst zu nehmen ebenso das Aufgeben geliebter Hobbys, ein nachhaltiges Rückzugsverhalten, ein gestörter Schlaf‐Wach‐Rhythmus, ungewöhnliches Gestresst‐ und Aufgeregt‐Wirken sowie Lethargie, Erschöpfungsgefühl, Lust‐ und Freudlosigkeit genauso wie bislang ungewohnte Gereiztheit und Aggression.“
Kleine Kinder klagen über körperliche Beschwerden
„Die sprachlichen Ausdrucksweisen sind ja mitunter nicht bzw. noch nicht ausreichend“, gibt der Kinder‐ und Jugendpsychiater zu bedenken. „Je jünger die Kinder, desto häufiger zeigt sich ihr psychisches Befinden über körperliche Beschwerdesymptomatik.“ Auch Unruhe und Schlafprobleme können ebenso wie der Interessensverlust an bisher bevorzugten Spielmaterialien Ausdruck dieser seelischen Schwierigkeiten sein. „Im Volksschulalter kommen weitere Warnsignale hinzu, die sich auch in der Form von Einnässen oder Einkoten manifestieren können. Aufgrund der sprachlichen Entwicklung äußern sich Kinder in diesem Alter normalerweise jedoch bereits sehr gut zu ihrem Befinden.“
Bleiben Sie hartnäckig!
Im Umgang mit Jugendlichen rät Kamper: „Bleiben Sie hartnäckig dran, auch wenn Sie anfänglich zurückgewiesen werden, suchen Sie Hilfe auf und holen Sie notfalls auch Unterstützung nach Hause! Die eigene Scham sollte Sie nicht davon abhalten.“ Erste Ansprechpartner sind Hausärzte, Kinderärzte, Kinder‐ und Jugendpsychiater und nichtärztliche psychologische Beratungsstellen sowie Krisentelefone.
Hilfe für die ganze Familie
Aus systemisch‐familientherapeutischer Sicht wirken sich sowohl positive Erlebnisse der Kinder und Jugendlichen als auch ihre erlebten Belastungen und Traumata auf die familiäre Basis und Struktur aus. „Insofern gilt es, Hilfestellungen für ganze Familien zu etablieren und diese Familienstrukturen zu unterstützen. Informationsmaterialien, beispielsweise auf www.für‐dich‐da.at oder www.istokay.at, und Krisenhotlines wie Rat auf Draht unter 147, die Telefonseelsorge 142 oder der Kindernotruf unter 0800 567 567 können weiterhelfen. Nehmen Sie auch Unterstützungsangebote öffentlicher sozialer Stellen oder der in Österreich bestens etablierten sozialen Vereinsstrukturen, Pro Mente, Caritas, Kinderschutzzentren und Kinder‐ und Jugendanwaltschaft, in Anspruch!“ Ein weiterer Schritt im Sinne unterstützender pädagogischer Betreuung kann unter Einbindung der Kinder‐ und Jugendhilfe notwendig sein.
Was Eltern selbst tun können
„Ein Angebot an Strukturen und Ritualen schafft regelmäßig Gelegenheit zur Kommunikation, gemeinsame Abendzeit, Rahmenvorgaben für den Medienkonsum je nach Alter, das heißt, von keinem Medienkonsum über begrenzten Medienkonsum hin zu begleitetem Medienkonsum“, führt der Experte aus. „Ermöglichen Sie Ihren Kindern den Kontakt zu Tieren, unternehmen Sie etwas in der freien Natur und in der Sonne, lachen Sie viel gemeinsam und nutzen Sie den Humor als Ressource! Unterstützen Sie Bewegung und Sport in regelmäßigem und vernünftigem Ausmaß, fördern Sie kreative Hobbys und setzen Sie gemeinsame Projekte um.“ Darüber hinaus gelte es nicht nur die Resilienz des Kindes und Jugendlichen zu fördern, sondern die familiäre Resilienz zu unterstützen.
Was war zuerst da – Pandemie oder psychische Erkrankung?
„Waren viele Kinder und Jugendliche bereits schlummernd erkrankt und ist das Beschwerdebild erst durch den Wegfall von Strukturen und Kontakten an die Oberfläche gekommen?“ Diese Fragen werden nun oftmals aufgeworfen. „Die Pandemie hat beides bewirkt“, so der Kinder‐ und Jugendpsychiater. „Bei manchen war bereits zuvor eine psychische Instabilität vorhanden. Diese konnte gerade noch kompensiert werden – durch Alltag, Strukturen, eigene Hobbys und sinnvolle Beschäftigungen. Pandemiebedingter Verlust von Struktur, direktem Kontakt mit Gleichaltrigen sowie ständige mediale Überfrachtung mit angstbesetzten Inhalten führten in vielen Fällen zu psychischer Destabilisierung und Krise.“ Auch ist die Hilfe bei bereits bestehenden körperlichen und psychischen Erkrankungen vielfach unterblieben. In belastenden, andauernden und wiederholten Pandemieszenarien steigt das Risiko für klinisch manifeste psychische Neuerkrankungen.
Prim. Dr. Adrian Kamper, Leiter der Abteilung für Kinder‐ und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapeutische Medizin sowie des Departments für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche
Das Klinikum Wels‐Grieskirchen
Das größte Ordensspital Österreichs ist eine Institution der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz und der Franziskanerinnen von Vöcklabruck. Mit 34 medizinischen Abteilungen, 1.248 Betten und rund 4.000 Mitarbeitern leistet das Klinikum Wels‐Grieskirchen umfassende medizinische Versorgung in Oberösterreich. Der Gesundheitsversorger verzeichnet rund 72.000 stationäre Entlassungen jährlich, das entspricht rund 17 Prozent der stationären Leistung Oberösterreichs. Aufgrund seiner zahlreichen Schwerpunkte und Kompetenzzentren bündelt das Klinikum fachübergreifendes Know‐how und ermöglicht interdisziplinäre Diagnosen und Behandlungen zum Wohle der Patienten. Ausgeschriebene Pflegestellen am Klinikum Wels‐ Grieskirchen und Infos zu den Pflegeausbildungen am Campus Wels finden Sie unter www.klinikum‐ wegr.at Ausbildung und Karriere.
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