Mann in der Krise
„Die Krisen um die Lebensmitte betreffen beiderlei Geschlechter“, erklärt Christian Behr, Oberarzt an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. „Als Wendepunkte beinhalten sie Lebenskrisen wie Trennungen vom Partner, eine Neuorientierung in der Partnerschaft nach dem Auszug von Kindern, berufliche Veränderungen, den Tod eines nahen Verwandten, Erkrankungen und körperliche Einschränkungen und vieles mehr.“ In der Bewältigung der Krise zeigen sich allerdings markante Unterschiede. „Männer greifen bevorzugt zu Alkohol als Selbsttherapie bzw. zu anderem selbstschädigendem Verhalten, wie Nikotinabusus, übertriebener sportlicher Betätigung, vermehrtem Arbeiten, risikoreichem Verhalten im Straßenverkehr sowie Eingehen von Außenbeziehungen.“
Die Depression des Mannes
Das Auftreten vermehrter Reizbarkeit, wechselnder Stimmungszustände, von Aggression und Schlafstörung zählen zu den Anzeichen einer Depression des männlichen Subtyps. „Daran sollte unbedingt auch gedacht werden“, bezieht sich der Experte auf die Notwendigkeit einer raschen Diagnosestellung und Therapiefindung. „Diese Form der Depression wird aufgrund des Fehlens der klassischen Symptome, wie Antriebslosigkeit und Müdigkeit, innere Leere und Verlust von Interessen, häufig fehlverkannt.“ Treten beim Mann insbesondere auch körperliche Anzeichen, wie etwa Atembeschwerden oder Schmerzen unbestimmter Ursachen, als Begleitsymptome auf, ist eine weitere Abklärung beim niedergelassenen Facharzt unbedingt anzuraten. „Mann zu sein heißt, prinzipiell statistisch betrachtet, ein erhöhtes Suizidrisiko zu haben“, warnt der Psychiater. „Gerade Männer im höheren Lebensalter verüben überdurchschnittlich häufig Suizide und gehören daher zu einer Hochrisikogruppe.
Das Überschreiten des Zenits
Physiologisch gesehen ist der Zeitraum der Lebensmitte auch ein Überschreiten des Zenits der höchsten Leistungsfähigkeit. „Bei Frauen ist dies auch mit der Veränderung der Hormone und Abnahme der Fruchtbarkeit, dem sogenannten Wechsel, benannt. Dieser ist gut erforscht und kann schon rein durch die Abnahme und schließlich dem Ausbleiben der Monatsblutungen abgegrenzt werden“, so Behr. „Bei Männern ist ebenfalls eine physiologische Abnahme der Hormone feststellbar, die aber im Gegensatz zum weiblichen Geschlecht nicht so gut erforscht bzw. äußerlich feststellbar ist.“ Bei Beschwerden im Sinne einer schnellen Ermüdbarkeit, Abnahme der Libido oder sexuellen Funktionsstörungen ist eine urologische Abklärung empfehlenswert, in deren Rahmen Hormonwerte bestimmt und therapeutische Schritte eingeleitet werden.
Ernährer, Beschützer, Familienoberhaupt
Männer sind in unserer Gesellschaft immer noch dahingehend erzogen „zu funktionieren“. Daher ist es nicht erstaunlich, dass eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit für viele Männer mit einem Verlust der Bedeutung bzw. Funktionalität, sei es in beruflicher oder familiärer Hinsicht, verbunden ist. Die Rolle als Ernährer, Beschützer, Familienoberhaupt kann dann subjektiv oder manchmal zum Beispiel bei Erkrankungen auch objektiv nicht mehr wahrgenommen werden. Der Selbstwert leidet dann sehr stark und nicht selten folgen schwere Lebenskrisen bis hin zu Depressionen. „Hierbei sollte auch der sogenannte Pensionsschock nicht unerwähnt bleiben, der umso besser bewältigbar ist, desto besser ‚Mann‘ darauf vorbereitet ist“, ergänzt der Experte.
Wann ist ein Mann ein Mann?
„Diese Liedzeile aus Herbert Grönemeyers Lied ‚Männer‘ ist wohl oftmals ein Kernthema in der psychotherapeutischen Arbeit mit männlichen Klienten“, so Behr. Die durch gesellschaftliche Veränderungen geprägten letzten 50 Jahre haben so manche Neuorientierung des typischen „Mannseins“ mit sich gebracht und bedürfen ständiger Anpassung. „Die zunehmende Aufweichung klassischer Rollenbilder bis hin zum Verschwimmen von Geschlechtergrenzen in Mode, Sprache und Ausdruck junger Menschen wird in Zukunft noch viele Herausforderungen für uns ‚Männer‘, aber auch insgesamt für uns alle, ob männlich, weiblich, divers, Cis‐ oder Transmenschen, homo‐, hetero‐, bi‐ oder pansexuell, in unserer immer komplexeren Gesellschaft mit sich bringen.“
So beugt „Mann“ vor:
Zur Prophylaxe depressiver Störungen kann eine gesunde Ernährung mit ausgewogener Kost, reich an Ballaststoffen und mit viel Vitaminen, beitragen – Stichwort mediterrane Ernährung. Zusätzlich sollte regelmäßige Bewegung am Programm stehen. Die Pflege der eigenen Interessen, Hobbies sowie soziale Aktivitäten können ebenfalls vor allem in Lebenskrisen hilfreich sein.
OA Dr. Christian Behr,
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin,
„Männer greifen in der Krise bevorzugt zu Alkohol als Selbsttherapie bzw. zu anderem selbstschädigendem Verhalten.“ „Mann zu sein heißt, prinzipiell statistisch betrachtet, ein erhöhtes Suizidrisiko zu haben.“ „Eine Depression des männlichen Subtyps wird aufgrund des Fehlens der klassischen Symptome häufig fehlverkannt.“ „Bei Männern ist ebenfalls eine physiologische Abnahme der Hormone feststellbar, die aber im Gegensatz zum weiblichen Geschlecht nicht so gut erforscht bzw. äußerlich feststellbar ist.“ „Die zunehmende Aufweichung klassischer Rollenbilder bis hin zum Verschwimmen von Geschlechtergrenzen in Mode, Sprache und Ausdruck junger Menschen wird in Zukunft noch viele Herausforderungen für uns alle in einer immer komplexeren Gesellschaft mit sich bringen.“
Das Klinikum Wels‐Grieskirchen
Das größte Ordensspital Österreichs ist eine Institution der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz und der Franziskanerinnen von Vöcklabruck. Mit mehr als 30 medizinischen Abteilungen, 1.248 Betten und rund 3.950 Mitarbeitern leistet das Klinikum Wels‐ Grieskirchen umfassende medizinische Versorgung in Oberösterreich. Der Gesundheitsversorger verzeichnet rund 72.000 stationäre Entlassungen jährlich, das entspricht rund 17 Prozent der stationären Leistung Oberösterreichs. Aufgrund seiner zahlreichen Schwerpunkte und Kompetenzzentren bündelt das Klinikum fachübergreifendes Know‐how und ermöglicht interdisziplinäre Diagnosen und Behandlungen zum Wohle der Patienten.
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